Ich habe meinen Sohn an gleich zwei Frauen verloren. Er war ganz verzückt von ihnen. Sie heißen Tina und Claudia. Sie sind älter als ich und echte Charmebolzen. Und er hat mich wissen lassen, dass er sie von jetzt an jede Woche treffen möchte.
Es begann ganz harmlos mit einem Besuch in der Bibliothek, als wir in der Kinderbuchabteilung einen Raum entdeckten, in dem bunte Stühle im Kreis aufgestellt waren. In der Mitte stand eine Kiste voller Kinderbücher. Der Zettel an der Tür verriet mir, dass hier in wenigen Minuten die Vorlesestunde des Lesewelt Berlin e.V. beginnen würde. Ehe wir uns versahen, saß Sohnemann auf einem der Stühle und versicherte mir, ich dürfe draußen warten. Er wäre schließlich schon ein großer Bruder. Da stand ich also plötzlich und hatte eine ganze Stunde Zeit, die ich mit Töchterchen um den Bauch geschnallt durch die Bibliothek wanderte. Ich schmökerte hier und da, warf aber immer wieder einen Blick auf die Uhr. Wie langsam doch so eine Stunde vergehen kann!
Punkt 17 Uhr öffnete sich die Tür und heraus wuselten vor Freude strahlende Kinder. Neben der vollen Packung Vorlesestoff hatten sie jeweils eine kleine Tüte Gummibärchen und ein kleines Spielzeugtier abgesahnt. Sohnemann durfte außerdem selbst seinen ersten Stempel auf eine Stempelkarte drücken. Ist sein Vorlesekärtchen nach zehn Besuchen vollgestempelt, gibt’s ein Buch geschenkt. Tja, da haben Tina und Claudia echt schweres Geschütz aufgefahren. Aber ich bin nicht eifersüchtig, denn es müsste noch viel mehr Tinas und Claudias geben, die ehrenamtlich Kindern vorlesen. Wir sind auf jeden Fall nächsten Dienstag wieder da.