Von Drachinnen und Gästinnen

„Der kleine Drache Kokosnuss ist furchtbar aufgeregt: Heute ist ein wichtiger Tag! Heute geht er zum ersten Mal in die Schule! Mit einer großen, bunten Schultüte in der kleinen Drachenhand und begleitet von Mama und Papa, folgt er den ABC-Schützen zu Lehrer Kornelius Kaktus. Unterwegs treffen sie Oskar, den jungen Fressdrachen. Neugierig beobachtet er das bunte Treiben. Er hat keine Schultüte, denn – und das ist bekannt – Fressdrachen gehen nicht zur Schule. Schließlich besteht die Gefahr, dass sie ihre Klassenkameraden auffressen!“

Soweit die Einleitung des cbj Verlages zum wirklich süßen Kinderbuch Der kleine Drache Kokosnuss kommt in die Schule, das seit dem letzten Besuch in der Bibliothek bei uns zu Hause Einzug gehalten hat. Beim abendlichen Vorlesen wurde ich an einer Stelle wirklich stutzig. Zum ersten Mal las ich das Wort Drachinnen.

Aus dem Buch "Der kleine Drache Kokosnuss kommt in die Schule": Nacheinander marschierten die jungen Drachinnen und Drachen hinauf zur Schulhöhle.

Ja, da hatte ich wohl bis jetzt eine echte Bildungslücke. Dass jemand in seiner Talkshow eine Gästin begrüßt, hatte ich schon gesehen und gehört. Doch eine Drachin im Kinderbuch? Für mich war der Fall klar: das ist dieser moderne Genderkram, der jeden normalen Text nur unnötig verlängert, Großbuchstaben und Unterstriche inmitten von Wörtern auftauchen lässt. Beruflich gendere ich natürlich alle meine Texte und stelle auch nicht in Frage, warum wir das tun. Privat allerdings fände ich es deutlich praktischer und für die Gleichberechtigung viel fortschrittlicher, wenn klar wäre, dass man zum Beispiel das Wort Gast benutzt und jeder weiß, dass damit ein geladener Mensch beiderlei jederlei Geschlechts gemeint ist.

Sicherheitshalber habe ich dann aber doch noch mal das große weite Netz befragt und wurde in Sachen modern sofort eines Besseren belehrt. Schon das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm kannte die Drachin, natürlich auch die Gästin und sogar eine Gastin.

„DRACHIN, f. dracaena, ahd. drechin Graff 5, 504, mhd. trechinne Ben. 3, 67b. trackindraca Voc. theut. 1482 gg 7b. drachin Henisch 739. Stieler 328. Steinbach 1, 286.“

Und noch ein Fundstück will ich hier zum Besten geben. In Folge 82 des Sprachwissen-Podcasts von Duden Von der Gästin zur Sommelière geht es um weibliche Personen- und Berufsbezeichnungen. Dort erfährt man unter anderem, dass man auch getrost die Engelin, die Geistin, die Geiselin und die Wildfängin sprachlich wiederbeleben könnte. Sie wurden auch schon zu Zeiten der Grimms benutzt und aufgeschrieben. 

 

Im Gegensatz zu mir kennt die automatische Rechtschreibkontrolle meines Rechners allerdings bis jetzt weder die Drachin noch die Gästin oder Gastin. Aus letzterer wird beim Schreiben immer wieder ein Gaston gemacht, wenn ich nicht rechtzeitig reagiere.

2 Kommentare

  1. Ich mag am liebsten die Drachin. Ob Ingo Siegner das beim Schreiben nachgeschlagen hat? Oder ob er denkt, er hätt’s erfunden? ;-) Liebe Grüße von der ebenfalls 3x-Mama Anna

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