Stiftung Warentest veröffentlicht den aktuellen Testbericht über Kinderwagen unter einer Überschrift, die schwer an das Clickbaiting* von heftig.co erinnert. Der Artikel „Kinderwagen: Nur ein Wagen überzeugt im Test“ geht rasend schnell durch die News. Kein Wunder, denn der letzte Test ist schon fünf Jahre her. Auch ich zahle brav die 2,50 €, um die Testergebnisse und nicht nur die Zusammenfassung lesen zu können. Am Ende ärgere ich mich und hätte das Geld lieber in einen Latte Macchiato investiert.
Doch von Anfang an: Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich um Rat gefragt wurde, welchen Kinderwagen ich empfehlen könnte. Ich fand es schmeichelhaft, dass mir in der Kinderwagenfrage eine gewisse Beratungskompetenz zugesprochen wurde. Immerhin habe ich bisher selbst Modelle von ABC Design, Chicco und Britax Römer mit den eigenen Kindern darin durch die Gegend gefahren. Im Moment sind wir mir einem Joolz unterwegs, der mir als Bloggerin zur Verfügung gestellt wurde. Als Bloggerin habe ich auch so manch anderes Modell schon Probefahren dürfen und im Freundeskreis auch schon verschiedene Karossen auf Wegen aller Art geschoben.
Trotzdem maße ich mir nicht an, eine Kinderwagenmarke oder gar ein bestimmtes Kinderwagenmodell als das Maß aller Dinge zu empfehlen. Ich gab auch beim letzten Mal den werdenden Eltern lieber den Rat, sich ein paar Fragen vorab zu stellen. Wer wird hauptsächlich mit dem Kinderwagen unterwegs sein? Wie sind die Wege beschaffen, auf denen sie fahren werden? Sind die Eltern eher mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs oder muss der Kinderwagen oft im Kofferraum des Autos mitgenommen werden? Müssen viele Treppen bis zur Wohnung gemeistert werden? Ach ja, natürlich sollten sich die werdenden Eltern auch die Frage nach dem Budget stellen, aber meiner Meinung nach erst ganz zum Schluss. Dass man sein Auge auf einen ganz bestimmten Kinderwagen geworfen hat, muss schließlich nicht zwangsläufig bedeuten, dass man ihn neu erwerben muss.
Ein Überangebot an Kinderwagenmodellen macht Eltern die Auswahl schwer
Verständlich, dass Eltern bei dem Überangebot an Kinderwagen Rat suchen, unter anderem bei der Stiftung Warentest. Bei einem Anbieter, dessen Werbespot eben über den TV Bildschirm flimmerte, sind allein 23 Hersteller von Kinderwagen gelistet. Jeder Hersteller hat mehrere Modelle in mehreren Designvarianten und Farben. Selbst wenn man sämtliche Buggys und Sportwagen nicht dazu zählt, sondern sich wirklich nur die Kombikinderwagen anschaut, bleiben über 400 Modelle übrig. Über vier-hun-dert!
Wie schön wäre es da, wenn sich jemand die Mühe machte, die Vielzahl der Kinderwagenmodelle nach ganz objektiven Kriterien zu testen und am Ende den Verbrauchern mitzuteilen, was sie erwarten dürfen. Doch wie viele Modelle hat die Stiftung Warentest ganze fünf Jahre nach dem letzten Test getestet? Ganze 14 Kinderwagen. Vier-zehn! Das sind genau so viele wie im Jahr 2009. Für die, die sich umfassend informieren wollen, ist es ein bisschen wie in der Lotterie. Mit etwas Glück ist das Kinderwagenmodell dabei, über das man sich ein genaues Testurteil erhofft. Für eine reißerische Überschrift sind 14 Kombikinderwagen allemal genug. Das galt 2009 genauso wie 2015. Unter dem Titel „Kinderwagen: 10 von 14 sind mangelhaft“ kann man den alten Testbericht auch jetzt noch lesen.
Gegen Gebühr gibt’s von Stiftung Warentest eine Tabelle für noch mehr Verwirrung
Ein Grund, weshalb ich mir den Test heruntergeladen habe, war aber auch die Nachricht von einer Schadsstoffbelastung im Bezugsstoff des getesteten Kinderwagens von Joolz. Wo genau wurde was in welcher Konzentration gefunden? Das wollte ich genau wissen, wurde aber vom Testbericht mehr als enttäuscht. Auch wenn man brav die Gebühr in Höhe von 2,50 € bezahlt hat, erfährt man aus der Tabelle nichts weiter als lustige Bewertungssymbole in Form von +++, ++, +, Ο oder Θ. Großartig! Will man mehr wissen, muss man sich durch die einzelnen Antworten klicken, die Stiftung Warentest auf einige der über 150 Kommentare gab. Ganz abgesehen davon konnte der TÜV Rheinland in einer beauftragten Nachprüfung die von Stiftung Warentest gemessenen Werte nicht reproduzieren. Nachzulesen in der Stellungnahme von Joolz und den veröffentlichten Prüfberichten
Irgendwie scheint es der Stiftung Warentest ganz recht zu sein, dass die Testergebnisse zum Glück für einen Aufreger reichen. Es wäre ja auch skandalös gewesen, wenn man hätte titeln müssen: „Alle Kinderwagen verkehrstauglich, jedes Modell mit Vor- aber auch Nachteilen, Käufer dürfen selbst entscheiden, welches zu ihnen passt“. Jeder Kinderwagen hat Eigenschaften, die der eine nicht mag, der andere aber zu schätzen weiß. So wie kein Kind dem anderen gleicht, haben Eltern verschiedene Kriterien, die ihnen wichtig sind. Am Ende genau einem Testsieger zu küren ist völliger Quatsch, auch wenn ich mich für Britax Römer freue. Mit den Autokindersitzen von Britax Römer sind wir total zufrieden. Der Sieger-Kinderwagen ist allerdings optisch gar nicht mein Geschmack. So schnell kann ein Testergebnis irrelevant werden.
Gift im Kinderwagen ist schlecht fürs Baby, aber gut für die Auflage
Gift im Kinderwagen geht natürlich gar nicht. Das möchte ich hier einmal festhalten. Das ist eine ernste Sache, die aber nicht von Stiftung Warentest dazu benutzt werden sollte, den Verlauf der aktuellen Ausgabe anzukurbeln und die Abrufe der kostenpflichtigen Testergebnisse zu steigern. Noch dazu, wenn im Nachhinein dann doch der Text noch einmal geändert wird und von den schlimmen krebserregenden Stoffen genau eine Substanz übrig bleibt, die sich durch einfaches Auslüften nach dem Entdecken verflüchtigt und die zwei andere Institute in der von Stiftung Warentest angegebenen Konzentration nicht nachweisen konnten.
Wer ganz sicher gehen will, sollte seinem Kind aber den neu gekauften Kinderwagen nicht zum Dauernuckeln überlassen. Schließlich könnte es sich um ein Modell handeln, dass es leider nicht in die Test-Top-14 geschafft hat. Babytragen – eine Alternative zur Fortbewegung mit dem Kinderwagen – wurden leider bisher von der Stiftung Warentest gar nicht getestet.
Doch jetzt, da ich mich bei Stiftung Warentest etwas genauer umgeschaut habe, kann ich noch einen guten Tipp zum Schluss geben: Schenkt eurem Baby am besten direkt nach der Geburt eine Digitalkamera. Die werden nämlich von der Stiftung Warentest so häufig getestet, dass man mit dem Lesen gar nicht mehr hinterher kommt. Allein 1.400 Digitalkameras im aktuellen Testbericht. Na dann, viel Spaß!
*Gemeint sind damit Beiträge, die mit reißerischen Überschriften oder verlockenden Bildern dazu verleiten sollen, auf bestimmte Links zu klicken.
Genau.
Freut mich zu lesen, dass ich wohl nicht der Einzige war, der diesen Test ein wenig, sagen wir mal, fragwürdig fand. Dass er allerdings im Nachhinein textlich umgestaltet worden ist, wusste ich nicht. Meine Fassung ist vom 30.01.15. Hm. Vielen Dank für den Hinweis.
Liebe Grüße aus’m Wedding,
Johnny
Recht hast Du;-) Sehr amüsant noch zudem geschrieben!
Ich habe mich auch nicht irritieren lassen von diesem Testbericht und fahre weiterhin mit Begeisterung unseren lieben Joolz und bleibe Treu!
Wenn man das Spiel mal weiter spielt und die Klamotten und die vielen Spielsachen testen lassen würde, die sich im Handel befinden, wo unsere Kinder direkt in Berührung kommen… Dann würden einige mit den Ohren schlackern!!
liebe Grüße Aileen
Es wäre ja auch doof, wenn am Ende keine plakative Überschrift stünde. Da hätte man vergebens so viele Wagen getestet.
Mir fiel vor 2 Jahren bei der Suche nach einem passenden Zwillingswagen schon auf, dass es keine Testberichte gab. Die einzigen Berichte über die Modelle fand ich damals in Mehrlingsforen. Sehr unübersichtlich natürlich. Heute gibt es dazu auf Blogs schon wieder minimal mehr.
Dabei wäre doch auch ohne künstliche Dramatik genug Nachfrage da. Ob für Mehrlinge oder Einlinge. Werdende Eltern sind dankbar für jeden Tipp, jede Übersicht in diesem Dschungel. Zumal der Kinderwagen zu den teuersten Anschaffung der Erstausstattung gehört. Ich habe die Preise für Einlingswagen nicht im Blick, aber Zwillingswagen kosten gerne auch vierstellige Preise neu. Ein solcher Fehlkauf tut weh.
Hallo Kerstin,
an Zwillingskinderwagen habe ich noch gar nicht gedacht. Aber ich kann gut nachvollziehen, dass man da als Eltern eigentlich noch mehr Informationsbedarf hat. Ich befürchte nur, WENN Stiftung Warentest die getestet hätte, wären am Ende auch solche Formulierungen rausgekommen wie „passt durch mittelgroße Türen“. Oder es wären überhaupt nur 3 Kinderwagen getestet worden.
Liebe Grüße, Sophie!
Gut, dass ich den nie gelesen, geschweige denn dafür gezahlt habe 😅