Mama, wo kommen denn die vielen Wörter her?

Ob wir denn nun endlich mal weitergehen können, fragt mich mit quengeliger Stimme die gestreifte Pudelmütze neben mir und zupft an meinem Ärmel. Die Pudelmütze, genauer gesagt, mein Sohnemann, der sich selbige tief ins Gesicht gezogen hat, um meine Gesprächspartnerin nicht angucken zu müssen, will endlich nach Hause. Schließlich wollen wir noch kneten. Das habe ich ihm versprochen. „Mama, bist du fertig mit dem Reden?“ nörgelt es wieder unter der Pudelmütze hervor.

Recht hat er ja, der kleine Mann, denn eigentlich war der Plausch so gar nicht eingeplant. Aber wie das so ist, trifft man sich ganz unverhofft und aus der einfachen Frage nach den werten Befindlichkeiten und einem Blick in den Kinderwagen wird ganz schnell ein ausgedehntes Geschnatter. Das soll zumindest beim Aufeinandertreffen von Frauen so ein Phänomen sein. Ich verabschiede mich von meiner Bekannten und setze mich mit meinen beiden Sprösslingen wieder in Bewegung. Kaum sind wir ein paar Schritte gegangen, hat die Pudelmütze plötzlich doch wieder ein Gesicht und schaut fragend zu mir hoch: „Mama, was habt ihr denn da die ganze Zeit geredet?“

„Tja, wir haben uns lange nicht gesehen und da hatten wir uns viel zu erzählen.“

„Du hast ja immer so viel zu erzählen. Immer erzählen die Erwachsenen so viel, wenn sie sich treffen. Und du auch!“

Ich versuche, mich zu rechtfertigen: „Ach weißt du, zu Hause mit Henriette kann ich ja nicht so richtig reden. Vielleicht habe es deswegen am Nachmittag noch so viele Wörter übrig, die geredet werden wollen.“

Sein Blick verfinstert sich und er protestiert: „Mit Henriette kann man schon richtig reden, Mama! Die kann ja bloß noch nicht richtig antworten. Da kannst du doch ganz viele Wörter mit ihr reden.“ Was soll ich denn diesem Argument entgegen setzen? Dabei muss Töchterchen sich schon den ganzen Tag allerhand von mir anhören, ob sie will oder nicht. Diese kleine Gedankenpause nutzt Sohnemann natürlich aus um nachzuhaken: „Woher kommen denn die vielen Wörter, die du immer sprechen musst? Und was passiert, wenn du die nicht alle wegsprechen kannst?“

Uff, was antwortet man denn auf solche Fragen? Ich ziehe den Vergleich mit einer immerzu sprudelnden Wasserquelle heran, denn immerhin haben wir so eine im Wald schon gesehen. Und irgendwo muss das ganze Wasser ja auch hinfließen. Dann erkläre ich noch, dass Papa am Abend immer herhalten muss, wenn ich noch zu viele Wörter am Tagesende übrig habe. Und während ich mich noch für diesen tollen Vergleich lobe, stellt Sohnemann abschließend fest: „Mama, das Wasser fließt doch zu dem Fluss. Und der fließt dann zu dem, äh…“

„…großen, weiten Ozean“, beende ich den Satz.

„Dann ist unser Papa wie der große, weite Ozean?“ fragt er, als wir vor unserer Haustür stehen.

„Ja“, sage ich, „manchmal sind Papas wie der große, weite Ozean, in den die ganzen Wörter der Mamas fließen, wenn sie davon wieder mal zu viele übrig haben. Und erstaunlicher Weise bleibt er dabei trotzdem ganz ruhig. Und jetzt weißt du auch, wieso es ‚Stiller Ozean‘ heißt.“

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