In den sozialen Netzwerken hat er schon die Runde gemacht, der Artikel, in dem Kate Bassford Baker die anderen Eltern auf dem Spielplatz eindringlich bittet, ihren Kindern bitte nicht ständig zu helfen. „Ich sitze hier nicht, weil ich zu faul bin, aufzustehen, … sondern ich bin mit ihnen hierher gekommen, damit sie selbst lernen, eine Leiter hinaufzuklettern. Auch Nido.de greift das Thema auf und beschreibt die Szenen, die auch ich schon häufig beobachtet habe: „Väter, die im Klettergerüst hängen und die Hintern ihrer Kinder durch die Seile wuchten; Mütter, die in Lichtgeschwindigkeit zur Rutsche eilen, weil ihre Kleinen nicht zügig die Leiter hochkommen: Wer die Spielplätze dieses Landes schon häufiger besucht hat, kennt diese Szenen. Kennt diese Eltern, die wie Schatten ihren Emils, Avas oder Bens überall dorthin folgen, wo es Hindernisse geben könnte…“.
Hier in unserem Viertel kennt jeder den Drachenspielplatz mit dem großen Holzdrachen, der der Spielplatz prägt und der immer wieder zur Kulisse der komischsten Verrenkungen erwachsener Großstädter wird. Ohne mit den Spielplatzplanern gesprochen zu haben, ist das Prinzip des riesigen Drachens klar. Wer es schafft, die erste Hürde aus Kletternetz und steiler Bretterwand zu nehmen, der wird auch körperlich in der Lage sein, sich bis ins Maul (mit herrlichem Rundumblick auf den Spielplatz) und zu den zwei großen Rutschen durchzuwurschteln. Für alle anderen heißt es, noch ein bisschen weiter unten zwischen den Seilen, im Kriechtunnel und auf der Wackelbrücke herum zu spielen und noch einmal einen neuen Versuch zu unternehmen, wenn Arme und Beine lang genug sind.
Doch die Eltern, deren Hände fast dauerhaft am Kinderpopo kleben und Unterstützung Vorschub bieten, bringen ihren Nachwuchs natürlich an einen Punkt im Kletterdrachen, bei dem es dann nur noch weiter und nicht mehr zurück geht – für Kind und Elternteil. Zu dumm aber: Normalwüchsige Erwachsene müssen sich dabei in Positionen bringen, die selbst der fortgeschrittenste Yogakurs nicht anbieten würde. Woher ich das weiß? Ich habe das genau einmal mit Kind 1.0 mitgemacht und fortan war klar: Es gibt mütterliche Tipps, wie man das grüne Holzvieh erklimmt, aber gestützt wird nicht mehr und hinterher gekrabbelt nur noch, wenn ich in meinem mütterlichen Leichtsinn wirklich Lust darauf habe.
Auch im Spiegel Online Artikel Ein Recht auf Schrammen, der Anfang Juni dieses Jahres erschien, beschreibt die Autorin eine Szene von einem Mädchen, das allein auf einer Mauer balanciert: „Behutsam, bedächtig setzt sie einen Fuß vor den anderen. Sie ist nicht besonders schnell für ihr Alter – vielleicht fehlt die Übung -, doch jetzt ist sie dabei, konzentriert, bestimmt. Bis die Mutter das sieht. ‘Pass auf!’, überschlägt sich die Stimme. Das Kind erstarrt. Die Knie geben nach, es kann keinen Schritt mehr machen. In seinem Gesicht ist jetzt Angst – die Angst der Mutter, die herbeieilt und der Tochter die Hand zur Rettung reicht.“
Das Risiko, ohne Risiko aufzuwachsen, scheint zur größten Gefahr für unsere Kinder zu werden. Aber als Eltern hat man es auch nicht leicht und ich habe mit Sicherheit schon öfter gehalten und gestützt, auch wenn es eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Schrammen oder Platzwunden nehme ich ja noch in Kauf, aber was, wenn es Schlimmeres als nur ein Arm- oder Beinbruch ist? Man kann das Leben nun mal nicht vorspulen, gucken, ob alles gut geht und dann entscheiden, ob man ruhig sitzen bleibt oder doch quer durch den Sandkasten zum Nachwuchs eilt.
Doch nicht nur die Spielplatzeltern bekommen ihr Fett weg, sondern auch die Spielplätze selbst. DIN gerecht und vom Fachmann abgenommen, wirft man den meisten Spielplätzen heute jedoch zwei Dinge vor. Sie sind zu langweilig und vor allem zu sicher. Oft zitiert werden in diesem Zusammenhang die norwegische Professorin Dr. Ellen Sandseter und der britische (bloggende!) Professor David Ball. Und je mehr man von diesen beiden liest, desto mehr könnte man zum dem Schluss kommen, dass man fordern muss: „Kinder haben ein Recht auf Spielen mit Risiko.“
Abschließend noch eine Bemerkung zum Knochenbruch: Mit zwei Jahren hat sich Kind 1.0 tatsächlich mal den Unterarm gebrochen. Allerdings nicht auf dem Spielplatz, sondern beim Helfen in der Küche. Er fiel beim Obst schneiden von seinem Tritthocker. Ich stand direkt daneben und konnte den Sturz dennoch nicht verhindern. Heute war Kind 2.0, jetzt auch zwei Jahre alt, meine helfende Hand in der Küche. Sie schnitt Ananas in kleine Stücke für den Nachtisch und hat sich dabei weder den Finger abgeschnitten noch ist sie vom Tritthocker gestürzt.
Und wenn wir das nächste Mal auf dem Spielplatz sind, halte ich mich lieber einen Moment länger an meinem Latte Macchiato to go fest und renne nicht gleich bei dem kleinsten Wackler zu einem meiner Kinder. Aber wenn der Kaffee dann ausgetrunken ist und mich der Bewegungsdrang packt, dann werde auch ich mich aufs Klettergerüst begeben – egal wie das aussieht!
Da ist was dran, dass die meisten heute lieber kein Risiko eingehen und ihren Kleinen auf Schritt und Tritt folgen.
Aber ganz ehrlich gesagt, meine Maus und mir ist auch immer Angst und Bange, wenn unsere klene Tochter alleine oben auf dem Gerüst rum turnt. Aber wir versuchen so gut wie es geht, sie selber machen zu lassen. Das ist aber gar nicht so leicht, aber irgendwann muß man sie ja mal mache lassen. :)
Ick finde unsere Spielplätze gar nicht so schlimm. Ich finde wir haben tolle und viele Spielpätze. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, das ich so schöne und viele als ind hatte. Ich habe sie auch nicht vermisst als klener Bengel.
Dein Artikel hat mich an einen von mir erinnert, den ich im letzten Sommer geschrieben habe: http://nostalgia-pur.de/Blog/2012/05/kinder-brauchen-dreck-fatale-folgen-durch-uebertriebene-hygiene/
lg. Chris
Ich gehöre zu den Mamas, die es nicht schaffen, sich am Latte Macchiato festzukrallen, ich rieche überall Gefahr. ;) Es wurde zwar mittlerweile schon besser, aber genaugenommen bin ich immer noch übervorsichtig, fürchte ich. Allerdings habe ich mittlerweile eine ganz wundervolle Lösung entdeckt: Ich schicke meinen Mann mit den Kindern zum Spielplatz. Der lässt die Kinder nämlich fast alles machen und ausprobieren. Und wenn sich irgendwann einmal eines unserer Kinder dabei ganz böse weh tut, kann ich immer noch sagen: „Ich habe dir doch gesagt, dass du besser aufpassen sollst“ *hust*
Nein, im Grunde tut es den Kindern nur gut und toi-toi-toi ist in den letzten 4 Jahren auch noch nie etwas schlimmes passiert.
danke für diesen Artikel. Du hast absolut recht, man darf den Kids nicht jeden Stein aus dem Weg räumen, sie müssen selbst ihre (körperlichen) Grenzen kennenlernen. Auch wenn es Eltern manchmal schwer fällt. Und wie du schon sagst, das fängt Zuhause schon an. Man darf nicht paranoid werden, passieren kann überall was aber wenn die Kleinen nicht lernen mit Messer und Gabel umzugehen oder auf einem Hocker die Balance zu halten, was soll denn dann zukünftig aus den Kindern werden? Es gibt doch hübsche bunte Pflaster, meine lieben die Dino-Pflaster. Ich habe die Kinderzimmer mittlerweile auch in kleine Abenteuerspielplätze verwandelt, mit ein paar DIY-Ideen oder sicheren Kindermöbeln können die Kids schon Zuhause rumtoben und ihren Bewegungsdrang freien lauf lassen, so dass sie auf dem Spielplatz dann viel sicherer sind und getrost alleine rumtollen können. Natürlich unter dem wachsamen Elternauge ;)
Noch ein kleiner Tipp..ein spannendes Buch mitnehmen und gar nicht erst hinschauen…
Was ich auch ganz schlimm finde, sind Eltern, die auf dem Spielplatz wie Kletten an ihre Kinder kleben, so dass diese gar keine Chance haben mit anderen Kids in Kontakt zu kommen. Kinder brauchen andere Kinder…warum gibt es Eltern, die denken, dass ihre Kinder gerade jetzt mit Ihnen spielen wollen anstatt neue Freundschaften auf den Spielplatz zu knüpfen. Ich sehs jedes Wochenende aufs Neue…
Liebe Grüße
Melanie
PS: Toller hier.. gerade erst entdeckt..;-)
Danke für den Buchtipp und das Kompliment! :-)
Ich wollte in deinem Blog auch gerade kommentieren, wie schön ich deine Flohmarktschätze finde, aber das geht nur, wenn man bei div. Konten angemeldet ist. Einfach mit Name, E-Mail und URL war das nicht möglich.
Vielen Dank für den Hinweis. Wusst ich gar nicht…mal schauen, was sich da machen lässt…
so..umgestellt..nun sollte das Kommentieren auch so funktionieren..
Liebe Grüsse
Melanie
Aber vllt.macht’s manchen Eltern eben Spaß, auch mal wieder auf’s Klettergerüst zu kraxeln ;)
Also ich hab mich auf diese Momente die ganze Schwangerschaft über gefreut :-D
Mir fällt es bsp.weise schwer, das gesunde Maß zu finden. Ich mach halt wie ich denk…mein Lütter freut sich, Muddi dabei zu haben…und wenn mich ne andere Muddi am Sandkasten-Rand schief anguckt, weil mein Kind ihrem mit der Schippe zu nah kommt, weiß ich warum ich ihm stets hinterher eiere… um Konflikte mit anderen Eltern zu vermeiden. Denn nicht alle sind so entspannt, wie man es sich wünschte. :-/
Ich bin erst vor kurzem auf deinen Blog gestoßen und les mich grade ein bisschen überall ein. Da wir scheinbar aus der direkten Nachbarschaft kommen, ist das recht spannend!
Zum Post, ja da ist auf jeden Fall viel Wahres dran. Mir fällt es manchmal nur echt schwer meinen Kindern nicht zu helfen, wenn sie das 5Millionste Mal nach mir gerufen habe und ich versucht habe zu erklären, das sie das alleine viiiiel besser können. ;-)
Und der Drachenspielplatz ist echt toll, ich hab mich allerdings noch nie da oben reingezwängt.
Liebe Grüße!
Hallo, das ist ein wirklich toller Artikel und ein toller Blog. Denke auch den Kids wird heute vieles zu einfach gemacht, die Erfahrung selbst was heraus zu finden wird ihnen später fehlen. Wenn ich überlege wo wir früher überall herum gesprungen sind ohne das die Eltern was davon wußten. ;-) Das würde es heute, glaube ich gar nicht mehr geben, aber geschadet hat es uns nicht.
Lg Holger
Und ich finde Eltern super, die anderen Eltern nicht ständig erklären wollen, was sie zu tun oder zu lassen haben.
Die Eltern, die heute auf Nido-Artikel verweisen, sind morgen die Karrieremenschen, die in Ämtern und bei Versicherungen sitzen und all den Eltern bei nächster Gelegenheit einen Strick daraus drehen, wenn sie für ihr verunfalltes Kind Hilfe benötigen.
Kurz: Es ist so unfassbar verlogen, wenn immer mit nackten Fingern auf angezogene, besorgte Eltern gezeigt wird, die eben selbst in Angst leben. Nämlich in Angst davor, von so NeunmalklugscheißerInnen dann auch wieder gesagt zu bekommen: „Hättest doch besser aufgepasst!“
Auch wenn der Artikel hier schon ein Jahr alt ist. Ich finde es traurig.
Ich bin mit Kind 1.0, wie du so süß schreibst in einem Pikler Kurs gelandet und das war das betse was mir passieren konnte, denn ich habe gelernt: vertraue deinem Kind und lass es machen in seinem Tempo. Seitdem gibt es oft auch böse Blicke von mir, wenn jemand meinen Kindern helfen will oder ich schreie von Weiten, das sie das alleine machen würden, wenn sie es könnten und ob derjenige dann bitte die Verantwortung dafür übernehmen kann, wenn es oben ist und nicht weiter weiß oder etwas passiert. Mit Kind 2.0 natürlich schwierig, weil sie alles nachmachen will und dadurch der Frust manchmal hoch ist, weil die Beine zu kurz. Aber ich weiß das sie sehr gut für sich sorgen können und auch wirklich besser aufbessen, wenn sie es alleine machen. Nicht immer der einfachste Weg ..
Und ja der Drachenspielplatz ist toll.. muss ich mit den Kindern auch mal hin.
Lieben Gruß
–Christiane
Gute Beruhigung, dass es ok ist, nicht gleich zu rennen…!
Meiner ist von Natur aus vorsichtig und rhetorisch geschickt. Wenn ich ihm helfe, dann, weil er mich dazu überredet hat ;-)
Ansonsten muss ich meinen Milchkaffee selten verlassen ;-)
Gestern war es mal nötig: Er hatte sich in eine hilflose Lage manövriert, rief laut um Hilfe, weil der Boden weiter entfernt war als gedacht und er halb in der Luft hängend weder hoch kam, noch sich runter traute. Ich wollte nicht laut über den Spielplatz diskutieren, dass er sich einfach FALLEN LASSEN soll, weil der Boden ohnehin nur noch 10-15 cm entfernt sei.
An der Stelle hatte ICH nämlich Angst vor Über-Eltern, die mich für diese Einstellung verurteilen würden ;-)